Programm für demokratisches Handeln und gegen Extremismus

Online-Debatte im Rahmen der Reihe Demokratie-Donnerstage „Miteinander gegen Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung“ am 17.09.2020

Gemeinsam mit der Diakonie Deutschland, dem Paritätischem Wohlfahrtsverband, dem Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der ZWST, dem Deutschem Caritasverband und dem AWO Bundesverband fand vom 27.08.2020 bis 01.10.2020 Online Veranstaltungsreihe „Demokratie-Donnerstage“ statt.

Von Susanne Beyer, AWO Bundesverband

Onlineformat Demokratie-Donnerstage
Onlineformat Demokratie-Donnerstage
Hintergrund für das Angebot einer digitalen Veranstaltungsreihe sind die Zuspitzung sozialer Probleme, Unsicherheiten und Existenzängste vor dem Hintergrund der Corona-Krise, die unter anderem auch die Fachkräfte in der Sozialen Arbeit stark zu spüren bekommen. Hierzu zählen die Zunahme an vielschichtigen Rassismen, an neuen und alten (oft antisemitischen) Verschwörungserzählungen sowie die Verdrängung wichtiger Themen aus der öffentlichen Wahrnehmung. Zu Letzterem gehören neben der mangelnden Solidarität mit sozial benachteiligten Gruppen auch die ausgebliebene gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung des rechtsextremen und rassistischen Anschlags in Hanau und des antisemitischen Anschlags in Halle.

Ausführliche Informationen zur Online-Reihe finden Sie im Veranstaltungsflyer.

Wie auch schon mit der 2017 gemeinsam herausgegebenen Handreichung „Miteinander gegen Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung“ setzten die Wohlfahrtverbände mit dieser Online-Veranstaltungsreihe ein Zeichen und boten im Veranstaltungszeitraum einmal pro Woche digitale Veranstaltungen an, um Bedarfe der Mitarbeitenden nach praktischer Unterstützung für den Umgang mit aktuellen Herausforderungen im Arbeitsalltag zu bedienen.

Dokumentation der Online-Debatte „Rechter Terror und die Wirkungen in der Einwanderungsgesellschaft und in der Sozialen Arbeit“ am 17.09.2020


Der AWO Bundesverband hat sich als Koordinierungsträger im Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe eingebracht und federführend die Veranstaltung am 17.09.2020 geplant und umgesetzt.

Die Corona Pandemie hat u.a. eine angemessene Aufarbeitung der rechtsterroristischen Anschläge von Halle und Hanau verhindert. Die Veranstaltung bot die Möglichkeit die Auswirkungen rechten Terrors in der Einwanderungsgesellschaft und in der Sozialen Arbeit zu reflektieren und mit den beteiligten Gesprächspartnerinnen und den Teilnehmenden Handlungsmöglichkeiten in der Sozialen Arbeit diskutieren. Anliegen der Diskussionsrunde war es, der Frage nachzugehen, welche Spuren die letzten Erschütterungen nach dem rechtsextrem motivierten Mord an Walter Lübke, dem antisemitischen Anschlag in Halle und dem neunfachen Mord in Hanau in der Einwanderungsgesellschaft hinterlassen. Welche Möglichkeiten gibt es, im Vorfeld der Verfestigung von Ideologien der Ungleichwertigkeit Menschenrechtsorientierung und demokratische Werte in der Sozialen Arbeit zu stärken? In der Gesprächsrunde wurde das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.

Moderiert wurde die Veranstaltung von der Politikwissenschaftlerin Mirjam Gläser, die aktuell am Jüdischen Museum des Landes Schleswig Holstein in Rendsburg tätig ist und seit langem in der Beratungsarbeit gegen Rechtsextremismus und in der antisemitismuskritischen Bildungsarbeit beschäftigt ist. Für die Online-Diskussion konnten vier engagierte Aktivistinnen und Kolleginnen gewonnen werden, um über die verschiedenen Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit rechtem Terror zu diskutieren.


„Es ist höchste Zeit, dass wir uns gegenseitig schützen und Allianzen bilden.“
Initiative 19. Februar
Initiative 19. Februar


Harpreet Cholia ist Aktivistin der Initiative 19. Februar. Sie ist hauptamtlich als Bereichsleiterin Diversität und Demokratie tätig bei GFFB. Harpreet Cholia ist promovierte Soziologin im Bereich kritischer Migrationsforschung, Antirassismus- und Geschlechterforschung (Goethe-Universität Frankfurt) und tätig als Dozentin für Sozialarbeit. Sie veröffentlicht zu diesem und anderen Themen wie Rassismus, rechte Gewalt und institutionelle Diskriminierung. Sie ist weiterhin tätig bei response als Antidiskriminierungsberaterin, psychosoziale Beraterin und Empowerment-Trainerin für Menschen, die von rechter und rassistischer Gewalt betroffen sind und sie ist Vorsitzende des Hessischen Flüchtlingsrats. Harpreet Cholia stellte die Initiative 19. Februar und ihre Anliegen vor, die sich nach den neun Morden im Februar 2020 gegründet hatte. Die Initiative 19. Februar kämpft seit den Ereignissen für die Aufarbeitung, Aufklärung und die Unterstützung von Opfern und Angehörigen.

Harpreet Cholia machte deutlich, dass eine umfassende Aufarbeitung insbesondere durch die Pandemie in den Hintergrund geraten ist. Die Initiative verfolgt das Ziel, dass die Namen der Opfer nicht vergessen werden. Eine zentrale Forderung ist die lückenlose Aufklärung des Anschlags. Zudem möchten sie darauf aufmerksam machen, dass es in Hinblick auf den Rassismus in der Gesellschaft großen Handlungsbedarf gibt und in einigen Institutionen, bspw. bei der Polizei, viel Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit notwendig ist. Ein wichtiger Aspekt ist aus ihrer Sicht auch, dass Diversität gelebt wird - auch in Leitungsfunktionen. Im Vordergrund der Arbeit der Initiative steht die Perspektive der Betroffenen. Die Initiative organisiert monatliche Treffen mit den Familien, Angehörigen der Opfer, Menschen in der Umgebung und Treffen mit weiteren Initiativen, um an den Opfern des Anschlags zu gedenken. Die Initiative konnte einen zentralen Gedenkort in einem Ladenraum in Hanau einrichten. Dort begegnen sich die Angehörigen der Opfer, um zu trauern, zu verarbeiten, zu erinnern und zentrale Forderungen abzustimmen. Zentrale Forderungen der Angehörigen sind die psychosoziale und finanzielle Unterstützung, eine gute Ausstattung der Beratungsstellen und die Bereitstellung von anderen Wohnungen, da die Angehörigen sich häufig in ihren Wohnungen nicht mehr sicher oder unwohl fühlen nach dem Anschlag.

Die Pandemie hat für die Angehörigen besonders schwerwiegende Auswirkungen: Kontaktbeschränkungen und Distanz sind in Zeiten der Trauer sehr problematisch für die Familien. Dadurch verstärke sich das Gefühl der Isolation. Zudem musste eine Demonstration, die die Initiative ein halbes Jahr nach dem Anschlag organisiert hatte, aufgrund des Infektionsgeschehens kurzfristig abgesagt werden. Stattdessen wurde mit 249 Menschen eine Kundgebung veranstaltet, die in Kooperation mit united we stream live übertragen wurde. Das Streaming bot die Möglichkeit trotz der Demo-Absage viele Menschen zu erreichen. Harpreet Cholia machte deutlich, dass es wichtig sei Rassismus offensiv anzusprechen und dabei das Wissen der Communities anzuerkennen. Aus ihrer Sicht sei es bedeutend bestehende Netzwerke zu nutzen - es brauche keine neuen, vielmehr brauche es Verbindungen aller Initiativen, die sich gegen Rassismus engagieren: „Es ist höchste Zeit, dass wir uns gegenseitig schützen und Allianzen bilden.“


Support - Für Betroffene rechter Gewalt
Support - Für Betroffene rechter Gewalt
Lena Nowak arbeitet bei der RAA Sachsen, Opferberatung Support Leipzig. Diese leisten u.a. Unterstützung für Kolleg*innen in Sachsen-Anhalt im Rahmen der Beratung für Betroffene, die während des Anschlags in Halle in der Synagoge waren. Lena Nowak machte deutlich, dass rechte Gewalt das Grundbedürfnis auf Beziehung und Bindung massiv bedroht. Beziehungsorientierte Arbeit und die Stärkung der sozialen Einbindung der Betroffenen, die z.T. in sozialer Isolation leben, stehen daher im Fokus der Arbeit der Opferberatung. Die gesellschaftliche und soziale Isolation muss bei der Intervention beachtet werden. Die soziale Isolation sei der größte Faktor dafür, dass Menschen zum Opfer werden können. Vor diesem Hintergrund ist auch eine Arbeit mit der einheimischen Bevölkerung von großer Bedeutung. Die gesellschaftliche Reaktion sei für die Tatfolgenbearbeitung extrem wichtig.

Soldarisierungsprozesse haben immensen Einfluss für die Betroffenen. Seit der Corona-Krise gäbe es kaum Beratungsanfragen aus dem ländlichen Raum obwohl es viel Hilfebedarf gab: Die soziale Isolation war noch größer. Offenbar gab es nur für bestimmte Personengruppen die Möglichkeit Beratung wahrzunehmen (sozioökonomische Gründe, Medienausstattung, Sprache). Vor diesem Hintergrund brauche es eine noch aktivere Ermittlung was die Betroffenen brauchen. Lena Nowak verdeutlichte, dass es wichtig ist, die allgemeine Situation für Menschen, die potentiell von Rassismus betroffen sind, im Blick zu haben. Vor dem Hintergrund der Strahlkraft von Pegida, die sich mitunter in einer Enthemmung von Gewalt, Angriffen im Wohnumfeld, zu Verunsicherungen führt, seien Fragen nach Selbstschutz potentiell Betroffener bedeutender geworden. Auch aufgrund z.T. mangelnder Einschätzungsmöglichkeiten sei es von Bedeutung diesen Personen Orientierung zu bieten und eine gemeinsame Bearbeitung vorzunehmen, was potentiell Betroffene beschäftigt. Zudem sei eine aufsuchende und proaktive Arbeit insbesondere im ländlichen Raum wichtig. Hinzu kommt, dass es inzwischen schon eine Normalisierung von rechter Gewalt gäbe, zum Teil durch eine Einbettung im Alltag oder durch das Gefühl, dass kein Interesse existiert.

Auch das Thema Selbstschutz sei extrem wichtig. Bei vielen potentiell Betroffenen von rechter Gewalt gibt es nur wenig Vertrauen in die Ermittlungsarbeit und in Unterstützung. Die Opferberatung fordert daher neben einem Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt, um die Tatfolgen verarbeiten zu können auch institutionalisierte Schutzräume für Opfer rechter Gewalt. Lena Nowak beobachtet, dass sich nach den jüngsten rechtsterroristischen Anschlägen auch bei den Fachkräften große Verunsicherung und Überforderung zeigt. Aus ihrer Sicht gehört eine klare Haltung zur Fachlichkeit dazu und muss sich professionspolitisch niederschlagen. Vor diesem Hintergrund fordert sie, dass sich Wohlfahrtsverbände noch stärker politisch positionieren.


AWO Regionalverband Mitte-West-Thüringen
AWO Regionalverband Mitte-West-Thüringen
Judith Wiedemann arbeitet beim AWO Regionalverband Mitte-West-Thüringen e.V. und ist dort Bereichsleiterin des Bereichs Jugend, Migration und Interkulturelle Öffnung. Judith Wiedemann machte deutlich, dass sich in diesem Bereich sehr unterschiedliche Regionen befinden – einerseits das sehr ländliche Weimarer Land, andererseits die Stadt Weimar mit sehr viel Kulturangebot und -geschichte sowie die relativ junge Stadt Jena.

Als im Jahr 2015 der Aufbau vieler Notunterkünfte für Geflüchtete erfolgte, geschah dies in einer Situation, in der die neuen Bundesländer noch verhältnismäßig wenig Erfahrung mit Migration hatten. Es waren Sicherheitskonzepte nötig und Schutzräume von Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen in den Einrichtungen. Judith Wiedemann berichtete, dass es Fälle gab, in denen sich Beratungsfachkräfte für ihre Arbeit rechtfertigen mussten. Andererseits habe der gesellschaftliche Rechtsruck viele Kolleg*innen auch darin bestärkt aktiv etwas dagegen zu tun. Daher war es äußerst wichtig, Mitarbeiter*innen den Rücken zu stärken und die Zusammenarbeit von unterschiedlichen Fachkräften zu fördern. In der Region Mitte-West-Thüringen wurde die regionale Vernetzung und die Zusammenarbeit mit den Organisationen mobit, ezra, dem Thüringer Antidiskriminierungsnetzwerk thadine und dem Flüchtlingsrat noch wichtiger, um bei Bedarf auf relevante Unterstützungsstrukturen verweisen zu können.

In der Arbeit mit den Klient*innen wird sehr viel Wert darauf gelegt, diese zu empowern, sodass sie ihre eigenen Rechte kennen und einfordern. Gleichzeitig sei es in der Sozialen Arbeit auch wichtig klare Grenzen zu setzen, wenn sich bspw. Rassismus unter Klient*innen zeigt. Hier sei es auch wichtig, Impulse zu setzen, Haltungen der Mitarbeiter*innen zu stärken, Weiterbildungen zu organisieren, um Rassismus und Rechtsextremismus erkennen und entgegentreten zu können. Dabei sei es nach Judith Wiedemann auch wichtig in die eigenen Reihen zu schauen, die Augen nicht zu verschließen und Rassismus zu thematisieren und Rassismuserfahrungen von Kolleg*innen Raum zu geben.


Projektlogo ZukunftsChancen
Projektlogo ZukunftsChancen
Nadja Körner arbeitet beim AWO Landesverband Thüringen und leitet dort das Projekt „ZukunftsChancen – Ausbau demokratiefördernder Strukturen“. Das Projekt wird im Rahmen des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) gefördert. Nadja Körner machte deutlich, dass das Hauptanliegen des Projektes die Prävention von Extremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist. Dabei sollen vor allem die Verbandsgliederungen im ländlichen Raum in der Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und im Engagement für eine vielfältige Gesellschaft gestärkt werden. Zentrales Anliegen des Projektes ist die Qualifizierung verbandsinterner Multiplikator*innen für die Themen Demokratiestärkung. Dies ermöglicht einen niedrigschwelligen Zugang zu verbandsinternen Unterstützungsstrukturen und auch die Thematisierung von weicheren Themen auf dem Weg zu Extremismus.

Im Laufe der Zeit ist durch die Angebote des Projektes ein festes Netzwerk von Fachkräften aufgebaut worden, die Kolleg*innen beraten und begleiten, wenn es um Konflikte geht und vermitteln bei Bedarf in professionelle Beratungsstrukturen. Darüber hinaus bieten die „ZukunftsFörder*innen“ selbst Veranstaltungen zu bestimmten Themen an, um Kolleg*innen zu sensibilisieren oder in Hinblick auf bestimmte Fragen zu informieren. Um diese Netzwerkarbeit aufrecht zu erhalten, die Aktiven zu stärken, brauche es auch in Zukunft ausreichend Ressourcen. Eine zentrale Rolle spielt in dieser Arbeit die Befassung mit der eigenen Haltung. Nadja Körner machte deutlich, dass die Werte der AWO eine gute Grundlage bieten, um die eigene Positionierung und Haltung zu stärken. Wichtig sei aus ihrer Sicht aber auch, dass diese Werte auch in der Organisation auch durch Führungskräfte vorgelebt werden, sodass dies für alle Untergliederungen spürbar ist. So könnte es bspw. sinnvoll sein, die Antidiskriminierungsarbeit fest im Qualitätsmanagement der Organisation zu verankern und somit eine verbindliche Struktur zu schaffen und die Qualifizierung im Umgang mit Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus in den Weiterbildungen der Fachkräfte fest einzubetten.

Im Arbeitsalltag der Einrichtungen fehle häufig der Raum für Diskussionen über Rassismus oder auch über Ereignisse wie die rechtsterroristischen Anschläge in den vergangenen Jahren. Es sei aber wichtig Zeit und Ressourcen im Haupt- und Ehrenamt zur Verfügung zu stellen, um eine qualifizierte Auseinandersetzung zu ermöglichen. Nadja Körner machte darauf aufmerksam, dass es eine wichtige Führungsaufgabe sei, Sicherheit und Struktur zur verbandlichen Verankerung des Themas zu schaffen. Im Umgang mit den jüngsten rechtsterroristischen Anschlägen sei es wichtig sich zu positionieren und über die eigenen Organisationsstrukturen hinaus zu verbünden. Das Projekt „ZukunftsChancen“ wirkt bspw. in Thüringer Bündnissen wie „Unteilbar“ mit und ist mit einer Vielzahl wichtiger Akteure im Bundesland vernetzt, um gemeinsame Aktivitäten umzusetzen und auf gesellschaftliche Herausforderungen zu reagieren.


Kontakt:
Susanne Beyer
AWO Bundesverband e.V.
Referentin „Zusammenhalt durch Teilhabe in der Sozialen Arbeit“
susanne.beyer@awo.org
Tel. +493026309-207